Von Trauer - "Arbeit" und der Bereitschaft zu fühlen

Trauer ist eine Gefühlsmischung aus vielen bitteren Aromastoffen: Betäubtsein, Verzweiflung, Wut, Schuldgefühle,  Hilflosigkeit, Leere, Freudlosigkeit, Traurigkeit, Sehnsucht, Einsamkeit, ... Diese Gefühle können sich überwältigend intensiv anfühlen. Gleichzeitig erleben Trauernde in unserer Gesellschaft mitunter, dass man ihnen zwar eine gewisse Zeit der Trauer zusteht, dann jedoch erwartet, dass der Verlust abgehakt ist. So wie bei einer ToDo-Liste, bei der es darum geht, eine Aufgabe erfolgreich hinter sich zu bringen. Ansonsten wird leichthin von nicht-bewältigter Trauer gesprochen.

Gern und oft, werden hierzu Trauer-Phasen (ursprünglich von Kübler-Ross angeregt) als Fürsprecher der Trauerarbeit herangezogen (ich selbst habe es getan und tue es immer noch). Demnach gilt es für gelingende Trauer, sich allen Stadien zu stellen und sie zu "durchlaufen", z.B.: 

1.) Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens

2.) Die Phase der aufbrechenden Gefühle

3.) Phase der Resignation

4.) Phase des Akzeptierens und Neu-Bezugs im Leben

Die Phasen-Modelle helfen zu verstehen, dass Trauer ein Prozess ist mit vielen Sprüngen und unterschiedlichen Gefühlen. Sie helfen zu verstehen, dass wir in der Trauer nicht passiv ausgeliefert sind, sondern dass Trauer - wenn auch extrem bitter und extrem intensiv - aktiv (mit)-gestaltet werden kann. Derartige Modelle helfen allerdings nicht, wenn sie als etwas betrachtet werden, was sich wie ein Projekt beenden lässt: Haken dran, erledigt, befreit von all den bitteren Gefühlen.

Die Wahrheit ist: wenn wir etwas verloren haben, was wirklich bedeutsam für uns war, egal ob ein Mensch, ein anderes Wesen oder eine Sache, an der unser Herz hängt (z.B. Arbeitplatz), dann spiegelt Trauer die Bedutsamkeit des Verlustes. Es sind wie zwei Seiten derselben Münze: auf der einen Seite der Schmerz, auf der anderen Seite all das, was wir durch das Objekt unseres Verlustes an Wichtigem bekommen haben. Wenn es für uns nicht wichtig gewesen wäre, wenn es uns nicht geprägt hätte, dann würde es nicht weh tun, dass wir es nicht mehr haben. Was weh  tut ist, dass Trauernde diesen Verlust mit sich tragen. Das ist ganz normal. Was jedoch kränkt ist, dass von ihnen irgendwann erwartet wird, dass es nicht mehr wehtun darf (ich habe das selbst von mir erwartet -> siehe persönliche Anekdote).

Das ist das grundlegende Missverständnis: ja, Trauer-Arbeit hat eine aktive Seite, nämlich die Bereitwilligkeit aufzubringen, all die "Bitter-Aromen" von Trauer zu fühlen, sich dem Verlust zu stellen und seiner Bedeutung. Jedoch nicht, um irgendwann nicht mehr zu fühlen, sondern um das eigene Leben mit dem Verlust bewusst zu leben und all die Erfahrungen, die wir durch das Objekt des Verlustes mit-bekommen haben, für uns sinnvoll in unserem weiteren Leben wie ein WERTvolles Vermächtnis zu nutzen. Denn das sind die milden, vollmundigen Aromen von Trauer: Dass es irgendwann möglich ist, auch mit Dankbareit das wahrzunehmen, was wir von dem Menschen, dem Wesen, der geliebten Sache erhalten haben, und diesen WERT in unserem weiteren Leben aktiv zu leben. Ich glaube das ist das stärkste Andenken überhaupt. Viel stärker und viel lebendiger als der Wunsch, die "Bitter-Aromen" irgendwann nicht mehr schmecken zu müssen.

In ihrem TED-Talk geht Schriftstellerin und Podcasterin Nora McInerny auf das grundlegende Missverständnis ein, was gelingende Trauerarbeit leisten soll.

Psychotherapeut Reimer Bierhals schildert ein eigenes Erlebnis im Zuge seiner Trauerarbeit.
Gelebte Trauer heißt nicht, das Schloss zu schmerzhaften Gefühlen 1mal zu öffnen und dann ist es erledigt. Es heißt, den Schmerz immer wieder bereit sein zu spüren und das 'Vermächtnis' des Objekt des Verlustes ins Leben zu integrieren. Bild: pixelio.de

Ein persönlicher Schlüssel-Moment zu Trauerarbeit lag für mich  21 Jahre nach Bettinas Tod: In einem Selbsterfahrungs-Workshop über Funktional Analytische Psychotherapie (FAP) ging es darum, den anderen Verletzliches über sich selbst außerhalb der Komfortzone mitzuteilen. Das Verletzliche für mich, war dieses Mal nicht, über Bettinas Tod in der Tiefe zu sprechen. Das Verletzliche für mich war unter Tränen zu bekennen, dass ich sie immer noch vermisse - nach all den Jahren. Ich habe mich vor den anderen geschämt, weil mein Verstand gescholten hat: "Du als Therapeut schaffst einfach nicht, Deine Trauerarbeit abzuschließen. Jetzt glauben die anderen, dass Du bei dieser Aufgabe versagt hast." Das hat mein Verstand falsch verstanden. Scham ist ein mächtes Gefühl und spielt auch bei Trauer eine Rolle. Insgeheim wusste ich schon, dass so viel Liebe zwischen mir und Bettina war, dass die Sehnsucht nach dieser Liebe nicht aufhört. Dennoch ist es etwas anderes, das sich selbst - und vor allem vor anderen - "offiziell" zuzubilligen.


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