Selbstmitgefühl: weich und resonant gegenüber innerlichem Alarm sein (anstatt zu erstarren)

Schauen Sie sich die Mutter-Kind-Interaktion in dem Video aus dem Experiment von Edward Tronick an und achten Sie dabei darauf, was Sie innerlich erleben, wenn die Mutter ihr Gesicht starr werden lässt; ebenso was Sie erleben, wenn ihre Gesichtsmuskeln wieder auftauen. Ihr eigenes Erleben gibt die besten Aufschlüsse darüber, was Selbstmitgefühl ist.

Still Face-Experiment

Das Still Face-Experiment von Dr. Edward Tronick über die Bedeutung sozialer Interaktion im Baby-Alter erzählt viel über die Art und Weise, wie wir lernen, mit innerem Alarm und den damit verbundenen schmerzhaften Emotionen umzugehen. Schauen Sie sich das Video an und nehmen Sie dabei wahr, was in Ihrem eigenen Körper beim Beobachten passiert.

Konnten Sie allein beim Anschauen in ihrem Körper inneren Alarm bemerken, als das Gesicht der Mutter einfror? Haben Sie vielleicht bei sich Erleichterung bemerkt, als die Mimik der Mutter auftaute und wieder resonant wurde? Dann haben Sie die wichtigste Idee von Selbstmitgefühl erlebt: Nämlich auf den eigenen emotionalen Schmerz mit weichem Gesicht und ruhigem warmen Herzen einzugehen, anstatt zu versuchen sich von sich selbst abzuwenden und all den selbstkritischen Gedanken Glauben zu schenken.

 

Ich als Gegenüber im Spiegel

Was wäre, wenn wir uns im Erwachsenenalter selbst im Spiegel betrachten würden, wenn wir in innerem Alarm sind: wie sehr würde es unseren Alarm aufschaukeln, wenn wir dann eine starre eingefrorene Haltung einnähmen - in der Hoffnung, so die unangenehmen Gefühle kontrollieren zu können? Wie hilfreich wäre es stattdessen, wenn wir uns mitfühlend mit warmherzigen Gesicht entgegenblickten? Und wenn wir unsere Körper- und Gesichtsmuskulatur weich und elastisch sein ließen. Im Versuch, unsere eigenen Emotionen im Erwachsenen-Alter zu unterdrücken, anstatt mit uns mitfühlend umzugehen, frieren wir in unserer Möglichkeit, Selbstmitgefühl zu praktizieren ein. Mitgefühl und Selbstmitgefühl funktionieren über den Körper. Sich selbst gegenüber im Schmerz liebevolle Mutter/Vater sein, den Körper beruhigen und emotional bei sich bleiben, auch wenn es gerade schwierig ist - das ist Selbstmitgefühl.

Selbstmitgefühl lässt sich lernen. Wir können üben, uns selbst bei emotionalem Schmerz mit weichem Gesicht sanft beizustehen statt einzufrieren, anzukämpfen oder uns abzuwenden. Der Unterschied ist so, als würden wir auf einem menschenleeren Gehsteig an einem weinenden Kind vorbeikommen. Es hockt gebückt, presst seine kleinen Hände vor das verzerrte Gesicht, sein Körper zuckt vor Weinkrämpfen. Was tun wir als Erwachsene? Drehen wir unseren Kopf weg und gehen schnell vorbei, um nicht mit der schmerzhaften Angelegenheit der Kleinen und dem damit verbundenen Aufwand behelligt zu werden? Oder gehen wir auf die Kleine zu, heben es auf, nehmen es bei der Hand oder vielleicht sogar in den Arm, um es zu beruhigen? Lassen wir uns ein und versuchen, warmherzig zu helfen?

 

Emotionaler Alarm ist schmerzhaft

Die Grafik aus dem Buch "The Brain" des Stanford-Gehirn-Forschers David Eagleman zeigt, dass bei der Gefahr von sozialer Ausgrenzung ähnliche Hirn-Areale aktiviert werden wie bei körperlichem Schmerz.
Die Grafik aus dem Buch "The Brain" des Stanford-Gehirn-Forschers David Eagleman zeigt, dass bei der Gefahr von sozialer Ausgrenzung ähnliche Hirn-Areale aktiviert werden wie bei körperlichem Schmerz.

Mit am bedrohlichsten für unser inneres Alarmsystem sind Signale, dass wir geächtet aus der Gemeinschaft herausfallen könnten. Deshalb sind zwischenmenschliche Störungen und Konflikte Anlässe, die uns auch körperlich unter Stress versetzen. Das macht das Still Face-Experiment in dem Video deutlich. Deshalb erfordern gerade zwischen-menschliche Störungen beides: Mitgefühl und Selbstmitgefühl. Das heißt konkret, der Alarm-Aufschaukelung erst mal eine körperliche Beruhigung entgegenzusetzen durch weichere Mimik, ruhigeres Atmen, sanftere Körper-Muskulatur.

3 Fertigkeiten von Selbstmitgefühl

Selbstmitgefühl lässt sich üben. Es besteht aus den 3 Fertigkeiten: 1.) achtsam erkennen, dass man gerade in innerlichem Alarm ist, 2.) die mit dem Alarm einhergehenden Emotionen annehmen statt sie zu bekämpfen oder versuchen, sich davon abzutrennen, und 3.) sich liebevoll zu kümmern, d.h. als erstes: die körperliche Aufschaukelung beruhigen, sich im Hier&Jetzt verankern, und dann sich fühlend beistehen. Den besten Eindruck, was Selbstmitgefühl ist, gibt das Still Face-Experiment von Edward Tronick. Es zeigt, dass es möglich ist, wie liebevolle Eltern für uns selbst, resonant zu werden, sich mit weichem Blick zu betrachten und warmherzige Orientierung zu geben: "Ich bin hier!"


Eine Selbstmitgefühls-Übung

Selbstmitgefühl lässt sich üben - Psychotherapeut Reimer Bierhals zeigt wie.
Selbstmitgefühl: Sich selbst bei emotionalem Schmerz wie einem Säugling beistehen, und das Baby im Arm wiegen. Bild: Helene Souza / pixelio.de

# Halte inne und praktiziere über die Beobachtung Deines Atems Hier- und-Jetzt-Vergegenwärtigung (--> siehe: Achtsamkeit): Atme dabei ruhig durch die Nase ein und aus, und beobachte so lange die Bewegung, die der Atemstrom im Körper erzeugt, bis es möglich wird, im Körper etwas sanfter zu werden. Spüre beim Einatmen Deine Fußsohlen; bemerke beim Ausatmen, wie Deine Nacken- und Schultermuskulatur weicher werden.

# Nehme dann Deine aktuell schwierige Emotion wahr und wiege sie sanft wie ein Kleinkind im Arm. Gebe dem Baby körperlich die Botschaft, dass Du bei ihm bist (auch wenn es schreit). Lass' es spüren, dass Du ihm auch bei Schmerzen zugewandt bist, mit weichem Gesicht. Sei mit all Deinen Nervenzellen resonant für die Reaktionen des vorgestellten Babys, auf all Dein liebevolles Bemühen. Wenn sich der Zustand des Babys ändert, nehme es wahr, richte Deinen Blick auf den Säugling und gebe ihm genau das, was er jetzt braucht, um sich sicherer fühlen zu können. Lass' ihn merken, dass Du bei ihm bleibst.

# Zum Abschluss der Selbstmitgefühls-Übung wende Dich wieder Deiner Atembewegung zu und beobachte mindestens drei Atemzüge lang den Fluß des Atems durch den gesamten Körper.

 


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